Vom Grundrecht auf leistbaren Wohnraum
Die Architektin Gabu Heindl widmet sich in ihrer Wiener Vorlesung der Frage nach den Bedingungen für leistbaren Wohnraum. Dabei erforscht sie bereits realisierte Utopien im Wohnbau und sucht nach den effizientesten Drehschrauben – vom internationalen Finanzmarkt bis zur lokalen Stadtplanung.
Für einen klaren und mutigen Blick in die Zukunft muss man mitunter Umwege gehen. Einer der fruchtbarsten dieser Umwege ist für Gabu Heindl der Blick in die Vergangenheit. Die Zukunftsthemen, an denen die Architektin forscht und arbeitet, sind drängend und hoch komplex. Es geht um Fragen nach leistbarem Wohnen, nach der gerechteren Verteilung von öffentlichem Raum. Um hier mutige Szenarien zu entwerfen, blickt Gabu Heindl auch zurück in die Geschichte: „Was gab schon für realisierte Utopien, die vielleicht wieder verschütt gegangen oder nicht ausreichend ausgearbeitet worden sind, die man für die Zukunft wiederentdecken kann?“
Der gemeinnützige Wohnbau im sogenannten Roten Wien gilt international als eine solche realisierte Utopie, erzählt Heindl bei einem Besuch in ihrem Atelier in Wien: „Wenn in den 1920er Jahren zum Beispiel Arbeiterinnen und Arbeiter um die sechs bis acht Prozent ihres Einkommens für die Miete gezahlt haben, das würden wir heute wohl als utopisch bezeichnen. Doch es war Realität.“ Heute zahlen Menschen im privat finanzierten Segment deutlich mehr fürs Wohnen – bei neuen Mieten liegt der Anteil am Einkommen meist zwischen 30 oder 40 Prozent, manchmal auch darüber. „Das trifft vor allem Menschen, die an sich schon wenig haben“, erklärt Gabu Heindl, die an der Universität Kassel das Fachgebiets für UmBauwirtschaft und Projektentwicklung leitet: „Wenn da 40 oder 50 Prozent vom Geld weg sind für die Miete, bleibt kaum noch etwas zum Leben.“
Wohnraum, der Profit abwerfen soll
Die Gründe dafür, dass sich das Verhältnis hier derart gedreht hat, sieht die in Wien arbeitende Architektin in den Mechanismen des Marktes: „Manche haben tatsächlich daran geglaubt, dass es besser ist, die Wohnversorgung dem freien Markt zu überlassen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich deutlich erwiesen, dass das überhaupt nicht der Fall ist.“ Aktuell ist es vor allem die Finanzwirtschaft, die an den Wohnungspreisen zerrt, so Heindl, konkret das Überschusskapital, das investiert werden will: „Dieses Geld ist in letzter Zeit massiv in den Wohnbau in wachsenden Städten geflossen. Der Wohnraum, der da aus privatwirtschaftlicher Initiative entstanden ist, soll maximalen Profit abwerfen. Das spießt sich ganz generell mit der Idee von einem Recht auf Wohnen für alle, von Gemeinnützigkeit im Wohnbau.“ Hier einfach dem Markt die Schuld zu geben, sei aber zu kurzsichtig, so Heindl: „Wohnraumpreise explodieren ja nicht einfach so – das ist ja kein Naturgesetz – sie werden gewissermaßen explodiert.“
Um diese Schieflage auszugleichen, sei die Politik gefragt – „und auch die Zivilgesellschaft, die verstehen muss, was für Mechanismen hier wirken“. Politik, und das macht die Sache so komplex, ist hier auf allen Ebenen gefragt: „Es fängt bei der Stadtplanung an, braucht aber auch den Bund und die EU-Ebene.“ Es gäbe schon lokal effiziente Hebel, bei denen man ansetzen könnte, um gegenzusteuern: „Einmal ist da die Spekulation auf Grund und Boden. Man kann kein bezahlbares Wohnen errichten, wenn schon der Boden nicht bezahlbar ist. Aber wir sollten eigentlich gar nicht nur auf der grünen Wiese bauen. Ein wichtiger Hebel ist auch die Leerstandsaktivierung und Nutzung von schon gebautem Raum.“
Dabei gehe es nicht nur um globale Konzerne, die den Buch-Wert von Immobilien steigern, indem sie die Gebäude leer stehen lassen – was sich in den Büchern mit hohen fiktiven Mieten höher niederschreiben lässt, als wenn man sie günstiger vermieten würde. Das Problem mit der Leerstandsaktivierung gibt es auch im privaten Bereich, erläutert Gabu Heindl an einem alltäglichen Beispiel: „Fast jeder kennt jemanden, eine ältere Frau vielleicht, die auf sehr großem Wohnraum wohnt und ihren Raum verkleinern möchte. Sie kann aber nicht in eine kleinere Wohnung ziehen, weil die viel teurer wäre als die Große. Das ist absurd.“ Nicht genutzter Raum macht nicht nur Wohnraum teuer, er hat auch Auswirkungen auf den Lebensraum Stadt: „Es macht etwas mit den Städten, das merkt man vor allem nachts, wenn man an dunklen Erdgeschoßzonen, Fenstern oder an ganzen dunklen Häusern vorbeigeht. Solche Viertel haben etwas Düsteres, da gibt es keinen Austausch mit Leben hinter den Vorhängen.“
Leistbarer Wohnraum als Friedenstifterin
Konkrete Utopien, die all dem entgegenwirken könnten, sieht die Architektur-Professorin allerdings nicht nur in der Vergangenheit. „Laut einer Studie steht aktuell etwa in Wien für 45 Prozent der Menschen sozialer Wohnraum zur Verfügung – vom Gemeindebau bis zu geförderten Genossenschaften. Nach den aktuellen Gerechtigkeitsparametern der Stadtplanung hätten aber um die 80 Prozent der Wienerinnen und Wiener Anspruch auf eine solche Wohnung. Also gibt es strenge Regeln für die Vergabe, Menschen müssen um leistbaren Wohnraum konkurrieren. Das gäbe es nicht, wenn wir allen 80 Prozent eine faire Wohnung anbieten könnten.“
Es ist der Gedanke der Fairness, der Gabu Heindl in ihrer Arbeit antreibt – vor allem weil es beim Wohnen um weit mehr geht, als nur ein Dach über dem Kopf zu haben. „Wenn niemand auf dieser Welt existenziell in Not wäre – vor allem im Sinn von Wohnen –, dann wären die Menschen vielleicht friedlicher miteinander. Dann hätten sie Zeit, sich Dingen zu widmen, die sie gerne täten, sich zu engagieren, sich mit Politik auseinanderzusetzen.“ Diese Idealvorstellung ist es, die Gabu Heindl mit ihren Projekten Realität werden lassen möchte: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine gesicherte Wohnbasis. Jeder Mensch hat das Recht darauf, sich nicht ausbeuten lassen zu müssen, das eigene Leben frei zu gestalten. Das ist doch eine wunderbare Utopie.“
Verfasst von Judith Belfkih / Wiener Vorlesungen
Informationen zur Veranstaltung:
Wiener Vorlesung, 5.6.2025
Gabu Heindl
© Lena Prehal